Interview mit Milo Probst zu seinem Buch „Für einen Umweltschutz der 99 Prozent“ – erschienen in der Edition Nautilus.
Du sagst, dass es nicht den einen Klima- bzw. Umweltschutz gibt. Was unterscheidet die verschiedenen Bewegungen?
Es handelt sich um unterschiedliche politische Projekte. Die vorherrschenden Formen des Klima- und Umweltschutzes systemerhaltend. Sie suchen eine Lösung der Umweltprobleme innerhalb des kapitalistischen Wachstumsmodells. Das scheint mir einer Suche nach der Quadratur des Kreises gleichzukommen. Denn zwischen dem Wachstumsmodell, das Menschen und Natur ausbeutet, um Profite zu erwirtschaften, und einer nachhaltigen und sorgenden Beziehung zu den Mitmenschen und Umwelten besteht meines Erachtens ein fundamentaler Widerspruch.
Andere Antworten versuchen, dieses Modell mehr oder weniger grundlegend zu durchbrechen: Sie reichen von einer Stärkung der öffentlichen Hand und Investitionen wie bei den sogenannten „Green New Deals“ bis hin zu offen antikapitalistischen Projekten.
Was wir immer fragen sollten: Was sind die gesellschaftlichen Folgen dieser Projekte. Verstärken sie soziale Ungleichheit, indem etwa durch Treibstoffsteuern die Ärmsten proportional gesehen die größere Last tragen müssen? Stärken sie mächtige Akteure wie Großkonzerne, oder weisen sie auf eine Demokratisierung der Wirtschaft? Adressieren sie neokoloniale Verhältnisse, oder lassen sie die Ausbeutung von Ländern des Globalen Südens fortbestehen, etwa durch die Rohstoffbedürfnisse eines elektrifizierten Individualverkehrs?
Kann es einen unpolitischen Klimaschutz geben oder müssen wir nicht auch das Thema soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund rücken? Also vielmehr von Klimagerechtigkeit sprechen?
Die genannten Beispiele zeigen, dass es keinen unpolitischen Klimaschutz gibt. Aber es gibt Akteure, die ihre Maßnahmen als unpolitisch zu verkaufen versuchen.
Seit dem Aufkommen der modernen Umweltbewegung in den 1970er Jahren gibt es Strömungen, die soziale Fragen ausklammern, weil ihnen zufolge alle gleichermaßen von der Zerstörung des Planeten betroffen seien. Dass das nicht stimmt, zeigen Bewegungen für Umweltgerechtigkeit oder Klimagerechtigkeit seit Jahrzehnten. Arme, von Rassismus betroffene, nicht-männliche Personen tragen sehr häufig die Hauptlast der Umweltzerstörung. Und nicht nur das: Sehr häufig sind es auch sie, die an vorderster Front dagegen ankämpfen.
Auch wenn Klimagerechtigkeit ein manchmal etwas schwammiger und vor allem umkämpfter Begriff ist: Hinter die Einsicht, dass soziale und ökologische Fragen eng miteinander verknüpft sind, sollte die Klimabewegung nicht zurückfallen.
Mir scheint im Übrigen die Gegenüberstellung von sozialer und ökologischer Frage etwas zu schematisch. Gibt es etwas Sozialeres als das Recht, gesund zu bleiben und keine dreckige Luft einzuatmen? Was ist sozial, was ist ökologisch an der Geschichte von Menschen, deren Lebensgrundlage durch Dürren, Abhängigkeit von Agrarkonzernen und autoritäre Regierungen zerstört wurde? Die dann aus ihrer Heimat fliehen, die Brutalität des europäischen Grenzregimes verspüren, um schließlich in einem europäischen Land mit einem schlecht bezahlten, körperlich und physisch krank machenden Job ihren Lebensunterhalt zu verdienen, während sie in Stadtteilen leben, die wenig Grünflächen und schlechte Luftqualität haben.
Das heißt, Klimaschützer*innen sollten auch die Eigentumsfrage stellen?
Davon bin ich überzeugt. Es geht hier wohlgemerkt um das Eigentum an Produktionsmitteln, nicht um Güter des Eigenbedarfs.
Privateigentum bedeutet absolute Verfügungsgewalt über die Sachen. Ein Eigentümer eines Stück Bodens kann ziemlich viel damit anstellen: Er könnte es brach liegen lassen, einer Immobilienfirma verkaufen oder an ein Permakulturprojekt verpachten. Natürlich gibt es Gesetze, die dieser Willkür gewisse Grenzen setzen. Aber ein demokratischer und inklusiver Aushandlungsprozess über den Gebrauch dieses Landstücks findet nicht statt.
Der ungarische Ökonom Karl Polanyi hat 1944 die Privatisierung und das Zur-Ware-Machen der Natur als „das vielleicht absurdeste Unterfangen unserer Vorfahren“ bezeichnet. Vor allem ist es undemokratisch, weil, wie gesagt, nur einige Wenige über den Umgang mit der Natur entscheiden dürfen. Die Eigentumsfrage zu stellen, ist somit Teil eines Demokratisierungsprojektes. Das muss nicht unbedingt Verstaatlichung bedeuten. Eigentum könnte auch von Gemeinden, Regionen oder Genossenschaften verwaltet werden.
Was verstehst du unter einem Umweltschutz der 99%?
Kurz gesagt, meine ich damit ein politisches Projekt, das Umweltprobleme und soziale Fragen miteinander verknüpft. Bei der Bekämpfung der Umweltzerstörung geht es immer auch um Geschlechtergerechtigkeit, Antirassismus, Antikolonialismus, Demokratisierung, soziale Gerechtigkeit etc. Umweltschutz der 99% ist intersektional. Er sollte Verbindungslinien ziehen zwischen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen und in unterschiedlichen Ausmaßen unter den Folgen eines Systems leiden, welches das menschliche und nicht-menschliche Leben ausbeutet und zerstört.
Das heißt aber nicht, dass zwischen all diesen Gruppen stets Einklang herrschen muss. Es geht mir um Gemeinsamkeiten trotz unterschiedlicher Erfahrungen und sozialer Positionen.
Ein Spruch auf vielen Demos der Klimabewegung ist „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Wie können wir die Zukunft zurück gewinnen?
Einerseits, indem wir versuchen, die kollektive Ohnmacht zu durchbrechen. Angesichts der Klimakatastrophe fühlen sich viele, mich eingeschlossen, machtlos. Es sind einige wenige, die die Macht besitzen, über die Zukunft des Planeten und der Menschen zu entscheiden. Alleine haben wir nichts dagegen aussetzen. Deshalb braucht es gemeinsame Organisierung, die an sich schon ein Gefühl des Zusammenseins und der kollektiven Stärke verleiht.
Andererseits, indem wir kollektiv über Alternativen nachdenken und mit ihnen experimentieren. Einer der großen Erfolge des Neoliberalismus ist, dass es mittlerweile ungemein schwerfällt, sich eine radikal andere Welt vorzustellen. Nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft scheint alternativlos. Eine solche Vorstellungskraft lässt sich vor allem kollektiv und in der Praxis trainieren. Denn soziale Bewegungen sind auch Momente, in denen wir lernen, anders miteinander umzugehen, Probleme selbst zu lösen. Wo also die alternative Zukunft in Ansätzen bereits Realität wird.