Interview mit Simone Barrientos (MdB / Kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke) zu Kultur in Corona-Zeiten
Dem Kultursektor geht es spätestens seit der zweiten Corona-Welle alles andere als gut. Hat der Staat seine Künstler vergessen?
Ganz so einfach ist das nicht. Monika Grütters, die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, hat mit dem Programm NEUSTART KULTUR schnell versucht, Kulturarbeiter:innen zu helfen. Inzwischen ist das Programm jedoch völlig überzeichnet, und da zeigt sich das ganze Problem der Corona-Politik: Von einem Neustart sind wir noch weit entfernt, es fehlt aber an realistischen Zukunftsszenarien. Dass gegen Jahresende die Infektionszahlen steigen würden, war doch absehbar! Warum wurde den Kultureinrichtungen im Sommer keine Langzeitperspektive vermittelt?
Dieselbe Planlosigkeit zeigt sich auch bei der fehlenden Unterstützung für Solo-Selbständige: Das bürokratische Chaos aus den verschiedenen Hilfsprogrammen auf Landes- und Bundesebene führt dazu, dass bis heute die Novemberhilfe nicht ausgezahlt wurde und die Dezemberhilfe nur in Planung ist – und das mitten im Januar! Fatal ist auch, dass Solo-Selbständige und Kleinunternehmen wegen Verdachts auf Subventionsbetrug strafrechtlich verfolgt werden, obwohl sie sich nichts zu Schulden haben kommen lassen.
Warum wurde nicht stattdessen, wie von der LINKEN gefordert, gleich zu Beginn ein unbürokratischer Unternehmer:innenlohn beschlossen, der gezahlt wird, so lange die Einschränkungen gelten?
Von all dem sind Menschen im Kunst- und Kulturbetrieb, denen ohnehin die nötige soziale Absicherung fehlt, ganz besonders betroffen. Das hat natürlich strukturelle Gründe, die lange vor der Pandemie liegen.
Wie sollten stattdessen Künstler und Menschen aus dem Kulturbetrieb gefördert werden?
Kulturarbeiter:innen müssen, wie andere Selbständige, besser in das Sozialversicherungssysteme integriert werden. Wir brauchen Anpassungen in der Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung. Z. B. eine Erwerbstätigenrente, in die auch Selbstständige einbezogen werden müssen.
Die Kulturförderung braucht insgesamt ein Umdenken: weg von den reinen Projektgeldern und hin zur langfristigen Förderung. Die Vergabe von Fördermittel muss verbindlich an soziale Kriterien geknüpft werden, z. B. an gewerkschaftliche Vertretung, faire Honorare und die Verringerung des Gender Pay Gaps.
Allerdings stecken Kommunen und Länder, die wichtigsten Träger für Kultur in der Situation, immer weniger dafür aufwenden zu können. Wie entkommt man diesem Dilemma.
Schon 2018 betrug der Anteil des Bundes an den Kulturausgaben 14,8 Prozent. Die Corona-Krise hat ein für alle mal gezeigt, wie sehr die Kommunen und Länder im Kulturbereich auf den Bund angewiesen sind. Das Problem ist, dass die rechtliche Grundlage hierfür wackelig ist, weil nach allgemeiner Rechtsauffassung Kultur „Ländersache“ ist. Aus diesem Grund hat u. a. der Bundesrechnungshof gefordert, die Stellung von Kultur verfassungsrechtlich klarer zu bestimmen. Die LINKE fordert als einzige Partei die Aufnahme eines Staatsziels Kultur ins Grundgesetz in ihrem Parteiprogramm. Ein solches klares Bekenntnis zur Kultur und damit auch zur öffentlichen Kulturförderung fordert auch die Initiative „Kultur ins Grundgesetz“.
Die Corona-Krise hat gezeigt, dass es der Bundesbeauftragten für Kultur, Monika Grütters an notwendigem Handlungsspielraum fehlt und sie von der Mammutaufgabe der Rettung des Kultur- und Kreativsektors strukturell überfordert ist. Klar ist daher: Eng verbunden mit einem Staatsziel Kultur im Grundgesetz fordere ich auch die Einrichtung eines eigenständigen Ministeriums für Kultur und Medien.
In unserer Gesellschaft werden mehr und mehr Bereiche wirtschaftlichen Regeln untergeordnet, wodurch sie zu Rentabilität und Gewinnmaximierung gezwungen werden. Kann man Kultur überhaupt nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben beurteilen?
Kultur hat einen besonderen, demokratierelevanten Stellenwert. Daher dürfen wir sie nicht in erster Linie nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben beurteilen. Und genau deswegen muss die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz festgelegt werden.
Ein neoliberales Dogma ist ja die Behauptung, dass jeder seines Glückes Schmied sei. Wer sich genug anstrengt, verdient auch genug. In Hartz IV-Sätzen ist das kulturelle Leben kaum berücksichtigt. Ist Kultur nur etwas für Besserverdienende oder sollte Kultur nicht vielmehr ein Bürgerrecht für alle sein?
Wir haben in diesem Land riesige Defizite bei der kulturellen Teilhabe. Dabei spielt natürlich Geld eine Rolle – das Hartz IV menschenunwürdig ist und abgeschafft gehört, ist für mich ganz klar.
Gleichzeitig wirken aber auch andere Hürden: An den Kunsthochschulen z. B. studieren hauptsächlich Menschen aus reichen, gebildeten Familien. Für genau die ist es viel einfacher, im prekären Kreativbereich zu überleben, denn sie haben die Kontakte und das Geld. Und das beeinflusst die Art und Weise, wie im Kulturbereich über Armut und Klasse gesprochen, wie diese Themen gezeigt oder gerade nicht gezeigt werden.
Was bedeutet das in Bezug auf die Diversität der Kultur? Können bald nur noch die großen, kommerziellen Kulturveranstalter überleben?
Ich finde die Unterscheidung zwischen den großen, kommerziellen Kulturveranstaltern und den kleinen, kulturell wertvollen schwierig. Es ist ja zur Zeit so, dass auch die großen Unternehmen im Bereich von Konzert- und Veranstaltungswirtschaft mit dem Rücken zur Wand stehen, weil sie enorme Fixkosten haben. Ebenso ist um die großen Kinos sehr schlecht bestellt. Und diejenigen Kulturarbeiter:innen, die vor der Krise vergleichsweise gut verdient haben, verlieren ihre private Altersvorsorge, weil sie als frische Hartz-IV-Empfänger:innen ihre Vermögenswerte aufbrauchen müssen.
Meine Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Branche zeigen, wie sehr alle Bereiche miteinander verzahnt sind. Alle, die im Kultur- und Kreativbereich arbeiten, sollten sich daher auch in Zukunft miteinander solidarisieren und gemeinsam kämpfen.
Ich hoffe, dass alle Betriebe und Kulturarbeiter:innen, egal wie groß oder erfolgreich, weiter Kultur machen können.
Wie sähe etwa ein gemeinwohlorientiertes, kulturelles Leben als Gegenentwurf aus?
Ein gemeinwohlorientiertes, kulturelles Leben muss immer das große Ganze im Blick behalten: Die Arbeitsbedingungen der Kulturarbeiter:innen, die Klimaverträglichkeit der Produktion und die Teilhabe möglichst vieler Menschen am kreativen und kulturellen Austausch.
Vielen Dank für das Gespräch!
Foto: Olaf Krostiz/Linksfraktion