Neue linke Ideen – Kipping, Korte und Fritzsche

In ihren BĂĽchern stellen Jan Korte (1. Parlamentarischer GeschäftsfĂĽhrer der Fraktion DIE LINKE im Bundestag), Julia Fritzsche (mehrfach ausgezeichnete Journalistin) und Katja Kipping (Vorsitzende der Partei DIE LINKE) Ideen vor, um mit linker Politik neue Wege zu beschreiten, die aus der multiplen Krise, in der wir uns befinden, fĂĽhren sollen.

Ein „Weiter so“ kann es nicht geben

Viele Menschen dachten wahrscheinlich ihr Leben lang, es könne immer so weiter gehen, unser Lebensstil sei der beste, den man sich denken kann. Jeder ist fĂĽr sein eigenes GlĂĽck verantwortlich und wenn wir fleissig genug sind und an uns selbst arbeiten, dann haben wir auch Erfolg. Wir gehen zur Arbeit, konsumieren mit dem Geld, das wir verdient haben, wir fahren oder fliegen mindestens einmal im Jahr in den Urlaub, kaufen alle paar Jahre ein neues Auto, vielleicht irgendwann ein Haus – uns geht es gut.

Doch sollte einem heute so langsam klar geworden sein, dass es nicht ewig so weiter gehen kann. Ganz im Gegenteil – wir stehen eigentlich schon am Scheideweg und mĂĽssen uns jetzt entscheiden, ob wir eine bessere Zukunft (oder ĂĽberhaupt eine Zukunft) fĂĽr uns und unsere Kinder wĂĽnschen oder ob die Welt den Bach runter gehen soll. Egal wie wir uns entscheiden, so wie die Welt jetzt ist, wird sie nicht bleiben.

„Die Zeit drängt. Egal wohin wir schauen: Klima, Digitalisierung, Demokratie, Migration, Ungleichheit, AuĂźenpolitik, Europa – auf allen Kanälen läuft das gleiche gefährliche Programm. Verunsicherung und hilflose Reparaturversuche bestimmen das Bild.“

Katja Kipping: Neue linke Mehrheiten. Eine Einladung

Katja Kipping
Katja Kipping Foto: Rosa Luxemburg Stiftung

Katja Kipping zufolge drohen der Welt zwei bedrohliche Zukunftsszenarien. Einerseits ein autoritärer Kapitalismus, in dem sich eine marktradikale Wirtschaftpolitik, moderne Überwachungstechniken und erstarkender Nationalismus verbinden. Andererseits ein Kapitalismus mit grünem Anstrich, in dem zwar ökologische Reformen durchgesetzt werden, dies aber nur unzureichend und ohne tiefgreifende Veränderung. In beiden Fällen käme die Welt nicht wirklich gut weg. Ungleichheit bliebe bestehen, Klimaschutzziele würden nicht erreicht werden, Konflikte und Fluchtursachen zunehmen. Was also tun?

Neue linke Mehrheiten als Antwort

Als Alternative zu diesen beiden Szenarien bezeichnet Kipping eine sozial-ökologische Transformation. Dazu braucht es aber progressive Regierungen und damit – wie der Kippings Buchtitel schon sagt – neue linke Mehrheiten. Eine Alternative also, die „Ernst macht mit einer Politik der sozialen Sicherheit, des Friedens und des Klimaschutzes.“ Es ist – wie bei den US-amerikanischen Demokrat*innen Bernie Sanders oder Alexandria Ocasio-Cortez – die Rede von einem Green New Deal, also eine sozialökologische Transformation der Wirtschaft, aus der mehr Klimaschutz ebenso erwächst wie sozialer Ausgleich. Hierzu gilt es bei aller Unterschiedlichkeit politischer Forderungen aus dem Mitte-Links-Spektrum das Verbindende zu suchen und an geteilten Werten und Traditionen anzuknĂĽpfen.

Niemals herabblicken!

Bevor linke Mehrheiten möglich werden, muss an erster Stelle der Riss, der durch die Linke geht, gekittet werden. Hierbei ist nicht bloĂź die Partei DIE LINKE gemeint, sondern die Gesamtheit der Linken in SPD, GrĂĽnen, Linkspartei und linken Bewegungen. Haben Linke dazu heute noch den richtigen Draht zu den und das Vertrauen der Bevölkerungsschichten, die sie erreichen und unterstĂĽtzen wollen? Und warum ist es möglich, dass immer mehr Wähler zur AfD abwandern und rechtes Gedankengut wieder salonfähig wird?

„Zum einen sind wir damit beschäftigt, die vielen kulturellen und menschenrechtlichen Errungenschaften der Linken hart zu verteidigen. Sie stehen schwer unter Beschuss von Seiten der Rechtsextremen und oftmals auch von Seiten der Konservativen.
Zum anderen liegen gewonnene ökonomische Kämpfe zu weit zurĂĽck.“

Jan Korte: Die Verantwortung der Linken 

Jan Korte
Jan Korte Foto: Linksfraktion im Bundestag

Diesen Fragen geht Jan Korte in seinem gerade im Berliner Verbrecher Verlag erschienenen Band „Die Verantwortung der Linken“ nach. Dabei findet er Antworten, die mitunter unbequem sein können. So schreibt er beispielsweise, dass viele Wähler nach rechts rĂĽcken oder sich gar ganz aus der Politik verabschieden, weil ihnen schlichtweg nicht zugehört wird. Hier geht es nicht um Menschen, die ohnehin eine rassistische oder autoritäre Einstellung haben, sondern um Menschen, die verzweifelt sind angesichts ihrer prekären Lage, die schlichtweg Angst vor der Zukunft haben, weil etwa aufgrund von Dauerbefristungen ihres Jobs nicht weiter als sechs Monate planen können. Linke echauffieren sich – und das zurecht – ĂĽber Einzelhandelsketten wie Primark, die unter unmenschlichen Bedingungen ihre Billigprodukte herstellen lassen. Was sie aber nicht tun sollten, ist auf die Menschen herabzublicken, die dort einkaufen gehen, weil sie eben aufgrund ihrer finanziellen Lage dazu gezwungen sind. Eben diese zwei Worte „Niemals herabblicken!“ ziehen sich wie ein roter Faden durch Kortes Buch und es täte der Linken gut daran, sich dies zu Herzen zu nehmen. Denn der Grundgedanke – ob nun der Sozialdemokratie oder des demokratischen Sozialismus – ist es doch, soziale Ungleichheiten zu ĂĽberwinden und gleiche Chancen fĂĽr alle zu schaffen.

Den „kleinen Leuten“ zuhören

NatĂĽrlich sind die Kämpfe fĂĽr Minderheitenrechte hier genauso wichtig wie der Umweltschutz und der Kampf gegen den Rechtsruck. Dabei dĂĽrfen aber eben nicht die sogenannten „kleinen Leute“, die Menschen in den Dörfern oder Paketbot*innen vergessen werden. Deren Lebenswelt gilt es zu berĂĽcksichtigen. Dazu gehören nicht nur die Sorgen um den Job, sondern auch die Frage, warum etwa das städtische Schwimmbad geschlossen wird, warum kein Geld fĂĽr die Bibliothek im Ort vorhanden ist und wieso der öffentliche Nahverkehr in ihrer Region nahezu eingestellt wird. Wie soll eine Linke handlungsfähig sein, wenn sie diejenigen, fĂĽr die sie sich vermeintlich einsetzt, kaum kennt. Viele Thematiken, mit denen sich Linke beschäftigen, haben mit der Realität der Arbeiter*innen und der sogenannten Unterschicht nichts zu tun. Im Gegenteil, viele Menschen fĂĽhlen sich nicht mehr verstanden, nicht ernst genommen und nicht mehr repräsentiert von Parteien wie der Linken oder der SPD, die beide ihre Wurzeln doch in der Arbeiterbewegunghaben.

Neben Zuhören bedarf es einer Erzählung

Das Zuhören allein reicht jedoch nicht. Nicht um tatsächlich neue linke Mehrheiten zu erringen. Nicht um Menschen mit progressiven Ideen zu erreichen. Deshalb plädiert die Journalistin Julia Fritzsche in ihrem bei der Edition Nautilus erschienenen Buch „Tiefrot und radikal bunt“ fĂĽr eine neue linke Erzählung.

„Gibt es wirklich keine groĂźen Erzählungen mehr? Nehmen wir die kapitalistische Grunderzählung, in einer politischen und ökonomischen Ordnung des globalen Wettbewerbs könne es jeder zu einem guten Leben bringen. Diese Geschichte der Fahrstuhlgesellschaft ist nicht mehr glaubhaft, es besteht groĂźe Skepsis ihr gegenĂĽber, insbesondere seit der erneuten Wirtschafts- und Finanzkrise. Tot ist sie aber nicht.“

Julia Fritzsche: Tiefrot und radikal bunt. Für eine neue linke Erzählung.

Julia Fritzsche
Julia Fritzsche Foto: Julia Schaerdel

Wie Jan Korte berichtet auch Julia Fritzsche, dass sich ein Großteil der Anstrengungen innerhalb der Linken sich um Minderheitenrechte dreht, was natürlich gerechtfertigt und wichtig ist. Sie fordert jedoch dieses Element mit der sozialen Frage zu einer neuen, linken Erzählung zu verbinden, ohne dabei Rückschritte bei Errungenschaften in Sachen Diversity zu machen.

Julia Fritzsche begleitet in ihrem Buch mehrere Menschen im Alltag. So zum Beispiel Streikende an der Berliner CharitĂ© oder FlĂĽchtlingshelfer*innen. Dort findet sie kleine Geschichten und Erzählungen, die aufzeigen, dass ein besseres Leben möglich ist, dass Leben und Arbeit sich an den BedĂĽrfnissen der Menschen orientieren sollte, nicht an der Verwertbarkeit des Menschen. Viel zu viele Lebensbereiche sind bereits einer kapitalistischen Logik untergeordnet. Sie bearbeitet dabei die Themen Pflege bzw. Gesundheit, Ă–kologie, Wohnen, Migration und Queerness. Und auch sie stellt die Forderung auf, dass Klassenfrage („tiefrot“) und Minderheitenschutz („radikal bunt“) zusammen gedacht werden mĂĽssen, statt sie gegeneinander auszuspielen. All diese Erfahrungen aus sozialen und kulturellen Kämpfen, diese Geschichten gilt es zu einer Art Meta-Erzählung zusammenzuweben. Zu einer neuen linken Erzählung, die das Potenzial hat, die Welt zu verändern.

Drei BĂĽcher – drei Empfehlungen

Es wirkt fast so, als bauten die drei BĂĽcher von Katja Kipping, Jan Korte und Julia Fritzsche aufeinander auf. Gemeinsam haben sie in jedem Fall die Suche nach Wegen, um die Welt zum Besseren zu verändern. Und das, indem alle Menschen mit ins Boot geholt werden, eine gemeinsam Vision – oder nennen wir es ruhig eine Utopie – geschaffen wird. Ein Bild von einer Zukunft, fĂĽr die es sich zu kämpfen lohnt. Um dieses Bild Realität werden zu lassen, sind natĂĽrlich neue linke Mehrheiten notwendig. Diese zu erreichen, wird kein einfacher Weg.

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