Bulldozer Bolsonaro

Interview mit Andreas Nöthen zu seinem Buch „Bulldozer Bolsonaro – Wie ein Populist Brasilien ruiniert“

Seit dem 1. Januar 2019 ist der Rechtspopulist Jair Bolsonaro Staatspräsident Brasiliens. Internationale Aufmerksamkeit erlangt der frĂĽhere Offizier vorrangig mit frauenfeindlichen, homophoben, rassistischen, antiwissenschaftlichen Ă„uĂźerungen. Der Journalist Andreas Nöthen war mehrere Jahre Korrespondent in Brasilien und konnte bzw. musste den Aufstieg Bolsonaros hautnah erleben. In seinem Buch „Bulldozer Bolsonaro – Wie ein Populist Brasilien ruiniert“ zeichnet er das Porträt eines Mannes, der gefährlich ist und den als vergleichbarer Typ leider auch an anderen Orten der Welt zu finden ist. Ich habe mit Nöthen ĂĽber sein Buch und die aktuelle Situation in Brasilien gesprochen. 

Sie waren dreieinhalb Jahre Korrespondent in Brasilien und haben somit den Aufstieg des jetzigen Präsidenten Bolsonaro miterlebt. Was ist das eigentlich für ein Mensch?

Ein sehr gefährlicher, der genau weiß, was er da tut und der zu Beginn der Wahlkampagne, ähnlich wie Trump von allen unterschätzt wurde. Bolsonaro wuchs auf in kleinbürgerlichem Milieu im Hinterland des Bundesstaats Sao Paulo. Als 15-Jähriger hatte er sein anti-linkes Erweckungserlebnis, als sich in seinem Heimatstädtchen Eldorado der Widerstandskämpfer Carlos Lamarca einen Schusswechsel mit einer Militärpatrouille lieferte und anschließend angeblich in der Region untertauchte. Bolsonaro half suchen, man fand aber nichts. Dabei kam er mit dem Militär in Kontakt. Er schaffte die Aufnahmeprüfung zur Kadettenschule – für einen jungen Mann seines Standes durchaus ein Erfolg. Die Karriere endete jedoch jäh mit dem Rauswurf, als er versucht haben soll, mit einigen anderen Bombenanschläge zu planen, um eine höhere Besoldung der Soldaten zu erzwingen. Bolsonaro erlebte seine prägendste Zeit während der Militärdiktatur, die für ihn so etwas wie die gute alte Zeit darstellt. Auch nach seiner Entfernung aus der Truppe blieb er als Politiker zwar jahrzehntelang scheinbar bedeutungslos. Doch er blieb ein Lobbyist des Militärs – bis heute ja. Von daher braucht sich, wenn man die Biographie betrachtet, niemand so recht zu wundern, dass er einerseits eine Masse an Militärs in die Regierung holte und auch die Regierungsverwaltungen damit auffüllte und er andererseits einen Weg einschlägt, der eine autoritäre Staatsführung zum Ziel hat. Das muss nicht zwingend eine Diktatur sein, aber eine klar hierarchisch und straffe Struktur müsste sie schon haben, mit klarer Befehlsstruktur. Eine starke Justiz und ein starkes Parlament sind für ihn in den Entscheidungsprozessen eher störend und gehören gestutzt.

War vor der Wahl Bolsonaros ein Stimmungswechsel im Land zu spüren? Man fragt sich ja durchaus, wie ein derart alles Linke hassende Kandidat nach einer linken Regierung zum Präsidenten gewählt werden konnte.

Bis vier, fünf Monate vor der Wahl spielte er praktisch kaum eine Rolle. Lula, bis dahin noch auf freiem Fuß, führte die Umfragen an und hätte wohl auch gewonnen, wenn er nicht vom späteren Justizminister Sergio Moro bei einer eher dünnen Indizienlage aus dem Verkehr gezogen worden wäre. Das roch schon sehr nach einem politischen Urteil. Aber natürlich hatte auch die PT in der Vergangenheit große Fehler gemacht. Der größte war wohl ihre Gier und ihre Korruptheit. Erst der Korruptionsprozess Mensalão, später dann Lava Jato. Die PT hatte nicht nur Kredit und Glaubwürdigkeit verspielt, sie hatte Bolsonaro die Wähler praktisch in die Arme getrieben. Dazu zeigte sie keinerlei Unrechtsbewusstsein. Die Wahl 2018 war nicht primär eine Pro-Bolsonaro-Wahl, sondern eine Anti-PT-Wahl.

Der Wahlkampf war ein stark polarisierender. Plötzlich waren Freunde, Kollegen oder Familien gespalten – das hat man sehr deutlich gespürt und je näher die Wahl kam, desto stärker wurde das.

In Europa bekommt man, wenn man sich nicht selbst intensiv damit auseinandersetzt, nicht sehr viel von der politischen und ökonomischen Entwicklung Brasiliens mit. Was hat sich seit der Wahl Bolsonaros verändert?

Das mit der geringen Aufmerksamkeit ist leider wahr, das war manchmal nicht leicht, Redaktionen für Themen aus Brasilien zu begeistern, wenn es nicht gerade Gewalt, Zika oder eine Katastrophe wie der Dammbruch am Rio Doce war. Am Tenor hat sich nicht viel geändert. An positive Geschichten aus Brasilien muss man tatsächlich länger zurückdenken. Mit Bolsonaro wurde zwar das Interesse größer, aber auch im Wesentlichen nur dann, wenn er – ähnlich wie Trump – wieder einmal etwas Ungeheuerliches vom Stapel gelassen hatte. Und bei beiden geschieht das praktisch täglich. Die Brände am Amazonas scheinen etwas mehr im Fokus zu stehen. Aber es ist im Wesentlichen doch die Sensationslust, die das Interesse leitet. Bei der Suche nach politischen Lösungswegen für die katastrophale Lage kühlt sich das Interesse ganz schnell ganz stark ab. Mag sein, dass sich die deutsche Außenpolitik mehr auf Probleme vor der eigenen Haustüre konzentriert, aber die ökologische Katastrophe, die sich dort zurzeit abspielt, derart zu ignorieren ist skandalös und wird die gesamte Menschheit noch teuer zu stehen kommen, fürchte ich. Man fühlt sich regelrecht ohnmächtig.

Etwa 100.000 Tote – Brasilien leidet sehr unter der Corona-Pandemie, die der Präsident als unbedenklichen „Schnupfen“ abtut. Wie gehen die Menschen damit um, wie ist die Stimmung derzeit im Land?

Inzwischen ja fast 150.000 Tote – Tja, was sollen die Menschen tun? Die vielen – etwa 40 Mio. – die im informellen Sektor arbeiten, als Straßenverkäufer oder die Niedriglohnarbeiter, die die weitaus größte Masse der Arbeitsbevölkerung ausmachen, hatten von Beginn an gar keine Wahl, als weiterzumachen und zu hoffen, dass sie irgendwie von dem Virus verschont bleiben. Das wusste auch Bolsonaro, als er stets propagierte, die Wirtschaft müsse weiterlaufen. Für viele wäre die Alternative wahrscheinlich das Verhungern gewesen. Mit einem finanziellen Sofortprogramm half die Regierung zunächst vielen Menschen weiter, was auch die Zustimmung für Bolsonaro in die Höhe trieb. Aber die Programme laufen aus. Es war übrigens ein Programm, dass er zunächst bekämpft hatte, weil es aus einer anderen politischen Richtung kam. Inzwischen aber zeigt sich immer mehr, dass er nicht der große Landesvater sein wollte, sondern sich vielmehr Ruhe erkauft hat. Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass er den Evangelikalen ein milliardenschweres Geldgeschenk gemacht hatte. Die Loyalität für seine Politik ist teuer erkauft. Diejenigen, die der Mittel- oder gar Oberklasse angehören, sitzen praktisch auf gepackten Koffern. Viele hatten bereits vor der Wahl Brasilien verlassen – in Portugal führte die Masse von reichen Exilbrasilianern ebenfalls zu Reibereien. Brasilien kommt nicht zur Ruhe. Einen Weg aus der Krise kann Bolsonaro nicht vorweisen, er kämpft einzig und alleine um seinen Machterhalt. Die Coronakrise und die vorangegangene Wirtschaftkrise haben das Land weit zurückgeworfen. Plötzlich ist das überwunden geglaubte Hungerthema wieder ganz weit in den Vordergrund getreten.

Wie kommt es, dass Bolsonaro immer noch Rückhalt in der Bevölkerung zu haben scheint?

Wie schon angedeutet: Ein Teil des Rückhalts ist sicherlich regelrecht erkauft. Seien es Hilfsprogramme für die Schwächeren oder Politik für mächtige Klientelgruppen wie die evangelikalen Kirchen, die unter ihm ebenfalls enorm an Einfluss gewonnen haben und sehr selbstbewusst auftreten. Man denke nur an den Fall des zehnjährigen Mädchens, das von seinem Onkel vergewaltigt und geschwängert worden war. Ein Gericht hatte für diesen Fall eine Abtreibung genehmigt. Vor der Klinik versammelten sich militante Abtreibungsgegner und wollten den Eingriff verhindern, beschimpften Mädchen und Ärzte. Angestachelt wurden sie von Personen, wie die rechte Bloggerin Sara Geronimi oder den rechten Medienunternehmer und Gründer des Portals Terça Livre, Allan dos Santos. Bolsonaros Politik gibt ihnen das Gefühl, etwas gesellschaftlich Erwünschtes zu tun. Der Beifall vor allem in den sozialen Netzwerken, die er zugegebenermaßen meisterhaft bespielt ist groß.

Oder nehmen wir die Feuer im Amazonasgebiet. Natur- und Indigenenschutzbehörden wurden entmachtet und finanziell trockengelegt, mit Ricardo Salles ein Umweltminister installiert, der in Sachen Naturzerstörung die Skrupellosigkeit Bolsonaros noch zu toppen scheint. Illegale Brandroder müssen nicht nur keinerlei Strafen befürchten, die bekommen sogar noch von höchster Stelle Beifall und dürfen am Ende das geraubte Land wahrscheinlich sogar noch behalten und legalisieren.

Vor wenigen Tagen, als bekannt wurde, dass die Hilfsprogramme für die Armen nicht verlängert werden, wurde bekannt, dass Bolsonaro als nächstes plant, Waffengesetze und Verkehrsgesetze zu lockern. Schon heute kommen durch Schusswaffen und im Straßenverkehr jährlich jeweils um die 60.000 Menschen ums Leben. Es sieht so aus, als wolle er Brasilien mit aller Gewalt ins Chaos stürzen. Bei denen, die daraus ihren Nutzen ziehen können, kommt das natürlich gut an. Und über eine weitere Unterstützergruppe, das Militär, haben wir ja schon geredet.

Wagen wir einen Ausblick. Wird Bolsonaro angesichts der sich verschärfenden Corona-Krise, aufkommender Proteste und des vermehrten Abholzens des Regenwaldes noch lange im Amt halten können?

Ich befürchte ja. Zumindest bis zur nächsten Wahl dürfte er sich halbwegs sicher sein. Nach dem Rücktritt Moros im Mai hat er sich mit den alten Zentrumsparteien zusammengeschlossen. Darunter die PMDB und die PSDB, die bis zu seiner Wahl Jahrzehnte lang an Regierungen beteiligt waren und es stets verstanden, die politischen Strippen so zu ziehen, dass sie stets obenauf bleiben. Ihre Loyalität hat er sich mit Posten und Zugeständnissen erkauft. So dürften die Zentrumsparteien – auch schwer vom Antikorruptionskampf des Lava Jato gebeutelt – vor weiteren Ermittlungen sicher sein. Aber gut, gekaufte Loyalität hält nur so lange, bis ein besseres Angebot daher kommt.

Bolsonaros Erfolg wird im Wesentlichen daran gemessen werden, wie er es schafft, das Land wieder wirtschaftlich nach vorne zu bringen. Da sieht es bisher ja auch nicht sonderlich gut aus. Aber das politische Geschäft in Brasilien ist schnelllebig, man erlebt binnen kürzester Zeit teilweise atemberaubende Volten. Bis zur nächsten Wahl in mehr als zwei Jahren (Oktober 2022) ist es noch lang, da kann tatsächlich noch viel passieren. Ich würde es Brasilien so sehr wünschen, wenn es gelänge, Bolsonaro nach spätestens vier Jahren wieder abzuschütteln und ihn in die politischen Bedeutungslosigkeit zurückzuschicken.

Dann bleibt uns momentan nur zu hoffen, dass Brasilien wieder zur Ruhe kommt. Herzlichen Dank für das Gespräch.

Ich danke Ihnen sehr!

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