Marlen Hobrack: Klassenbeste – Wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet
Ich habe es nun schon des Öfteren erwähnt: Die Klasse ist zurück im Diskurs und zurück in der Literatur. Große Aufmerksamkeit etwa erhielten die Romane und Sachbücher von Didier Eribon, Darren McGarvey oder im deutschsprachigen Bereich vor allem Christian Baron, der unter anderem von der Kindheit in einer armutsbetroffenen Familie beschreibt. Die Journalistin Marlen Hobrack ergänzt mit ihrem Buch „Klassenbeste“ den Klassen-/Klassismus-Diskurs um die Perspektive der ostdeutschen alleinerziehenden Arbeiterfrau. Klug und humorvoll beschreibt sie die eigene Herkunft, die bis heute Teil ihrer Identität ist.
Herkunft ist etwas, das sich uns einschreibt. Sie markiert nicht einfach den Ausgangspunkt unserer eigenen Biografie und unseres Lebensweges, sie ist gleichsam auch ein Gepäck, das wir mit uns herumschleppen.
Das Thema Herkunft betrifft uns alle, denn schließlich können wir nicht verleugnen, dass jede*r von uns irgendwo herkommt. Oftmals beginnen wir aber erst dann uns Gedanken über unsere Herkunft zu machen, wenn wir bemerken, dass wir aufgrund ebendieser anders gesehen, anders behandelt werden oder uns in gewissen gesellschaftlichen Kreisen gar fehl am Platz fühlen. Wer von Klassismus, also der Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft, betroffen ist, reagiert häufig eher mit Schamgefühlen als beispielsweise mit Wut. Auf der anderen Seite wird die Beschäftigung mit der eigenen Herkunft teilweise als reine Identitätspolitik abgetan, als Beschäftigung mit einer Art Luxusproblem, das die soziale Frage außen vor lässt. „Anhand der Biografie meiner Mutter will ich zeigen, dass wir gerade nicht zwischen den Perspektiven Identität oder Klasse wählen sollten, sondern dass wir sie wie Werkzeuge bei der Analyse der ungeheuer komplexen Gegenwart benutzen müssen“, schreibt Marlen in ihrem Buch. „Wir sollten sie wie Brillen begreifen, die uns je nach Situation helfen, eine Konstellation genauer zu betrachten. Weder eine Klassenperspektive noch Identitätspolitik sollten als Dogmen verstanden oder instrumentalisiert werden.“
„Herkunft klebt wie Scheiße am Schuh.“
Mit 19 Jahren wird Marlen Mutter. Während sie in ihrer Kindheit keine Fremdheitserfahrungen machen musste, bemerkt sie an der Universität, dass es sie gibt die „feinen Unterschiede“, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu sie beschreibt. Der Habitus der Kinder aus der gutbürgerlichen Mittel- und Oberschicht trennt die Studierenden durchaus. Als junge, alleinerziehende Mutter hat man da einen schweren Stand. Marlen belässt es aber nicht mit der Wiedergabe ihrer eigenen Biographie und der Geschichte ihrer Mutter, die bereits arbeitet, seitdem sie 12 Jahre alt war. Respekt- und liebevoll erzählt sie von ihrer Mutter, verbindet jedoch die eigene Herkunft, die eigenen Erfahrungen mit gesamtgesellschaftlichen Fragen und bietet den Leser*innen eine soziologische Analyse der Bedeutung von Mutterschaft und Klassenzugehörigkeit in der DDR und der Bundesrepublik.
„Klassenbeste“ ist ein sehr lesenswertes Buch – geschrieben mit ebenso viel Empathie wie analytischem Durchblick. Sie räumt mit dem Mythos der Chancengleichheit auf und beschreibt, was der so genannte „soziale Aufstieg“ für sie persönlich bedeutet. Es lohnt sich, die Klassenfrage aus unterschiedlichsten Perspektiven zu betrachten, um den eigenen Horizont zu erweitern. Auch für Leser*innen, die sich als „Menschen ihrer Klasse“ begreifen.
Marlen Hobrack (*1986 in Bautzen)
Studium der Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaften
Schreibt u. a. für DER FREITAG, TAZ, ZEIT, WELT und MONOPOL.
Marlen Hobrack
Klassenbeste
Wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet
- Erscheinungsdatum: 22.08.2022
- 224 Seiten
- Hanser Berlin
- 22,00 €