Was darf Satire? Wirklich alles?

Vor 125 Jahren wurde der deutsche Schriftsteller und Journalist Kurt Tucholsky geboren. Er gilt als einer der größten Satiriker seiner Zeit. Was hätte er wohl zur heutigen Diskussion um die Frage: Was darf Satire? gesagt?

„Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“ So schrieb es Kurt Tucholsky unter seinem Pseudonym Ignaz Wrobel 1919 im Berliner Tageblatt. Satire stieß und stößt noch immer vielen Menschen übel auf. Diese Erfahrung musste auch Tucholsky des Öfteren machen. Und das nicht erst, als die Nazis seine Bücher verbrannten.

An Klagen und Anfeindungen mangelte es nie. Mal lautete die Anklage auf Gotteslästerung, mal auf Verunglimpfung oder Beleidigung. Dabei ging es Tucholsky ganz und gar nicht darum, Personen oder eine Gruppe zu beleidigen. Vielmehr sollte seine Satire auf Missstände aufmerksam machen und Menschen zum Umdenken bewegen, denn „Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.“

„Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als bei der Satire.“

Wo sind die Grenzen der Satire? Was darf Satire?

Auch wenn heute über die Grenzen der Satire diskutiert wird, ist Tucholskys Zitat „Was darf Satire? Alles.“ nicht nur in aller Munde, sondern auch in sämtlichen sozialen Netzwerken zu finden. Natürlich soll Satire mehr als nur witzig sein. Sie muss provozieren, um Wirkung zu erzielen, wobei die Grenzen recht weit gefasst sind. Gesetzlich ist die Satire durch die im Grundgesetz garantierte Freiheit der Meinungsäußerung und die Freiheit der Kunst geschützt. Während im 19. Jahrhundert so mancher Satiriker noch mit schweren Haftstrafen rechnen musste, bestehen juristische Nachspiele heute, zumindest in Deutschland, lediglich in Unterlassungsklagen oder schlimmstenfalls in Schmerzensgeldforderungen. Zumindest müssen Karikaturisten und satirische Autoren kaum schlimmere Strafen von staatlicher Seite erwarten.

Tucholsky und Lisa Matthias im schwedischen Läggesta Foto: Sonja Thomassen, CC
 Tucholsky und Lisa Matthias im schwedischen Läggesta
Foto: Sonja Thomassen, CC

Und doch wird seit Anfang des Jahres erneut diskutiert, wo die Satire Grenzen überschreitet, und Karikaturisten üben ihren Beruf wieder unter Angst aus. Am 7. Januar 2015, zwei Tage vor Tucholskys 125. Geburtstag, wurden bei einem Terroranschlag auf das Redaktionsbüro des bekannten französischen Satiremagazins Charlie Hebdo zwölf Menschen getötet, darunter fünf prominente Karikaturisten und der Herausgeber des Magazins. Bereits 2011 war das Charlie Hebdo Ziel eines Brandanschlages geworden, bei dem großer Sachschaden entstand, jedoch kein Mensch verletzt wurde.

Auslöser für beide Anschläge waren von Charlie Hebdo veröffentlichte Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed. Zwar kam es unmittelbar nach der Tat zu zahlreichen Solidaritätsbekundungen in Frankreich und anderen europäischen Staaten und noch Tage und Wochen später las man überall „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie). Aber auch die Frage, wie weit Satire gehen dürfe, wurde wieder gestellt.

Das Dargestellte nicht mit dem Darstellenden verwechseln

Ehre sei Gott in der ersten Etage!
Courage! Courage!
Macht eure Fabrik auch mal Plei-hei-te,
die Kirche, die steht euch zur Sei-hei-te
und gibt euch stets das Geleite:
sie beugt dem Proleten den Rücken krumm
und hält ihn sein ganzes Leben lang dumm,
und segnet den Staat und seine Soldaten,
die Unternehmer und Potentaten
und segnet überhaupt jede Schweinerei
und ist allemal dabei.
Jeder lebe in seinem Rahmen:
unten die Arbeitsamen
und oben die mit den Börseneinnahmen –
Amen.

(aus: Kurt Tucholsky, Gesang der englischen Chorknaben, 1928)

Gewiss gibt es Grenzen für die Satire. Aber der Leser sollte, so Tucholsky, nicht den Fehler begehen, das Dargestellte mit dem Darstellenden zu verwechseln. „Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Ich hebe den Vorhang auf, der schonend über die Fäulnis gebreitet war, und sage: „Seht!“ – In Deutschland nennt man dergleichen ‚Kraßheit‘. Aber Trunksucht ist ein böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose Wahrheit kann da helfen.“

Auch für Tucholsky waren religiöse Institutionen Zielscheibe seiner Satire. Vor allem kritisierte er die christlichen Kirchen für ihr Verhalten im Ersten Weltkrieg. Aber dennoch spottete er nicht über eine Religion an sich. Er unterschied klar zwischen den spirituellen Inhalten einer Religion und den gesellschaftlichen Ansprüchen einer Religionsgemeinschaft. So kritisierte er beispielsweise die deutschnationale Überzeugung mancher Juden seiner Zeit, machte sich aber nie über den jüdischen Gott lustig. Auf Vorwürfe der katholischen Zentrumspartei entgegnete er in einem privaten Briefwechsel 1929: „Ist nicht überall sauber unterschieden zwischen der Kirche als Hort des Glaubens, über den ich mich niemals lustig gemacht habe – und der Kirche als politische Institution im Staat?“

Wie verhält es sich also mit Satiren, die auf Religionen abzielen, wie eben den Mohammed-Karikaturen? Natürlich werden solche Karikaturen als beleidigend und als Verunglimpfung einer gesamten Religionsgemeinschaft empfunden. Das ist bekannt – und zwar auch den Schöpfern der Bilder. Die Diskussion darüber, ob das Verhalten von Magazinen wie Charlie Hebdo legitim ist, darf nicht mit Maschinengewehren und Handgranaten geführt werden. Man darf aber die Frage stellen, ob es nicht eher angebracht ist, die Instrumentalisierung der Religion durch Extremisten für deren politische Zwecke zu karikieren statt den Religionsstifter.

Kurt_Tucholsky_Signature.svg

So hoch das Gut der freien Meinungsäußerung ist, Würde und die für viele Menschen sehr bedeutsame Religiosität sollte nie Ziel des Spottes sein. Satire darf und soll die Mächtigen kritisieren und durch den Kakao ziehen, nicht den Einzelnen und nicht den Schwachen. Und so ist es ein Unterschied, ob man einen Papst, der nicht nur religiöses Oberhaupt, sondern in gewissem Sinne auch politischer Ateur ist, in satirischer Form darstellt oder die Religion an sich nicht nur in Frage stellt, sondern mit der Verunglimpfung des Stifters ins Lächerliche ziehe.

Dieser Artikel erschien erstmalig im Auftrag des Goethe Instituts e.V. unter www.goethe.de

Schreib eine Antwort

Deine E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Ähnliche Beiträge